Kein Personalgespräch bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit!
Darf mich mein Arbeitgeber zu einem Personalgespräch im Betrieb anweisen, während ich arbeitsunfähig erkrankt bin? – Ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) aus dem Jahr 2016 (Az.:10 AZR 596/15) bringt Klarheit für diese nicht selten aufkommende Frage: Laut BAG darf er das in den meisten Fällen nicht. Dabei kommt es auch auf die Art der Krankheit nicht an. Krank ist krank, lautet also die Devise. Nur wenn dringende betriebliche Gründe für ein solches Personalgespräch im Betrieb sprechen und ein Abwarten bis zu einem späteren Zeitpunkt, wenn die Arbeitsunfähigkeit nicht mehr besteht, dem Arbeitgeber unzumutbar ist, kann er ein Personalgespräch auch während der Erkrankung des Arbeitnehmers verlangen.
Eine Ausnahme macht das BAG in dringenden Fällen. Zum Beispiel darf der Arbeitgeber anweisen, ein kurzes Personalgespräch zu führen, wenn der Arbeitnehmer wichtige betriebliche Informationen hat, ohne die der Arbeitgeber den Betrieb nicht oder nur sehr erschwert weiterführen kann. Und auch dann kann der Arbeitgeber ein persönliches Erscheinen nur verlangen, wenn gerade die Anwesenheit im Betrieb dringend notwendig ist.
Wie weit geht das Weisungsrecht des Arbeitgebers? Grundsätzlich hat der Arbeitgeber ein Weisungsrecht gegenüber seinem Arbeitnehmer. Dies ist in § 106 GewO festgelegt. Das heißt, er kann den Inhalt, den Ort und die Zeit der Arbeitsleistung sowie die Ordnung und das Verhalten des Arbeitnehmers im Betrieb bestimmen.
Das Weisungsrecht betrifft also Pflichten des Arbeitnehmers.
Jetzt kommt die Arbeitsunfähigkeit ins Spiel: die Arbeitsunfähigkeit befreit den Arbeitnehmer von der Erfüllung einiger Pflichten. Der Arbeitgeber hat dann kein Weisungsrecht mehr. Das gilt in erster Linie für die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers, seine Arbeitsleistung zu erbringen.
Das Weisungsrecht bleibt dagegen in Bezug auf andere Pflichten des Arbeitnehmers trotz Arbeitsunfähigkeit bestehen. Darunter fallen sogenannte Neben- oder auch Rücksichtnahmepflichten (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Arbeitnehmer wird also bei einer Erkrankung zwar davon befreit, arbeiten zu müssen, aber auf die Interessen und Güter des Arbeitgebers muss der Arbeitnehmer trotzdem weiterhin Rücksicht nehmen und muss schädigendes Verhalten unterlassen. In der Folge könnte man meinen, wenn der Arbeitgeber während der Erkrankung keine Arbeitsleistung, sondern bloß ein Personalgespräch verlangt, muss der Arbeitnehmer Rücksicht auf diesen Wunsch nehmen und der Weisung Folge leisten.
Falsch gedacht!
Den Arbeitgeber treffen nämlich ebenso Neben- und Rücksichtnahmepflichten. Die Pflicht, auf die Interessen und Bedürfnisse eines, insbesondere erkrankten, Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen, beschränkt das Weisungsrecht. Denn es besteht die latente Gefahr, dass das Einbestellen zu einem Personalgespräch den Genesungsprozess beeinträchtigt. Deshalb muss der Arbeitgeber grundsätzlich von Personalgesprächen während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers absehen.