Punktehandel: Verkehrsgerichtstag empfiehlt dem Gesetzgeber Maßnahmen
Was verbirgt sich eigentlich hinter dem Arbeitskreis „AK IV – Cleverness oder strafbares Verhalten? Behördentäuschung und Punktehandel“ in Goslar und was bedeutet „Punktehandel“? Muss man sich das so vorstellen, dass man jemandem seine in Flensburg gespeicherten Punkte verkaufen kann? Flensburger Punkte als Ware?
Tatsächlich funktioniert dieser Handel nicht so einfach, wie manch einer denken würde und schon gar nicht wird man auf diese Weise schon eingetragene Punkte los. Vielmehr geht es eher um eine Art Vorbeugung, mit der verhindert wird, dass drohende Punkte eingetragen werden.
Wie funktioniert der Punktehandel? Wenn ein Zeugenfragebogen oder Anhörungsbogen ins Haus flattert, gibt man diesen an den „Punktehändler“ weiter, der für seine anschließende Mitwirkung ein gewisses (manche sagen auch stattliches) Honorar berechnet. Kleiner Trost: In diesem Honorar ist die später im Bußgeldbescheid enthaltene Geldbuße enthalten. Dafür beschafft der Händler eine Person, die sich selbst als Fahrer bezichtigt, in dem sie in dem Fragebogen die eigenen Daten einträgt. Damit wird die Hoffnung verbunden, dass die Bußgeldstelle das nicht merkt und das weitere Verfahren dann gegen diese Person richtet. Die bekommt dann, wenn alles gut geht, den Bußgeldbescheid, bezahlt die Geldbuße, nimmt sogar ein damit verbundenes eventuelles Fahrverbot hin und kassiert schließlich auch den oder die Punkte in Flensburg.
So oder ähnlich funktioniert diese Methode schon seit Jahren und glaubt man einem damit bekannt gewordenen Händler (Rene Meier) sogar schon seit Jahrzehnten. Nicht immer fällt die Bußgeldstelle auf den Schwindel herein. Wird er entdeckt, verschlimmert sich die Situation aber gegenüber der Ausgangslage nicht. Der tatsächliche Fahrer bekommt sein Verfahren und am Ende vielleicht auch den unerwünschten Punkt und gegen den Händler oder die von ihm vermittelte Person lässt sich nichts unternehmen. Das hat einen besonderen Grund, den man kennen muss, um nicht mit einer eigenen Kopie der Methode Täter eines Strafverfahrens zu werden.
Wer selbst im Zeugenfragebogen oder Anhörungsbogen eine andere Person als Fahrer angibt, damit die Behörde das Verfahren gegen einen selbst nicht weiterverfolgt, verwirklicht damit mit großer Wahrscheinlichkeit einen Straftatbestand, nämlich falsche Verdächtigung (§ 164 StGB). Das wird gewöhnlich auch verfolgt und man kann am Ende verurteilt werden. Eine relativ hohe Geldstrafe und eine Eintragung im Bundeszentralregister ist die Folge. Der „Trick“ im Punktehandel besteht in der bloßen Weitergabe der behördlichen Anfrage an eine andere Person. Für das Gelingen ist es wichtig, dass diese Person den Fragebogen selbst ausfüllt und sich damit selbst bezichtigt. Das ist nach bisheriger Auffassung straflos, auch wenn man damit verhindert, dass ein richtiger Täter seiner gerechten Ahndung entgeht. Auch die Mitwirkung an dieser Scharade durch Weitergabe des Fragebogens bleibt straflos.
Wie arbeiten Bußgeldstellen? Damit diese Methode klappt, also die Bußgeldstelle ihren Irrtum nicht merkt, müssen wohl einige Voraussetzungen stimmen. Dem Sachbearbeiter der Behörde liegt ein mehr oder weniger gutes Messfoto vor. Darauf ist eine Person halbwegs gut zu erkennen und es ist wahrscheinlich, dass Geschlecht und ungefähres Alter eingeschätzt werden können. Meldet sich dann eine Person, deren Geschlecht nicht übereinstimmt oder deren Alter deutlich abweicht, wird niemand auf deren Behauptung, der Fahrer gewesen zu sein, hereinfallen. Stimmen diese beiden Auswertekriterien, kann der Schwindel dennoch später auffliegen, wenn ein Fotoabgleich mit einem Meldeamtsfoto durchgeführt wird. Weil dieser Abgleich nicht immer zum Standard im Bußgeldverfahren gehört, wird es relativ viele Fälle geben, in denen die fragliche Methode trotz Unähnlichkeiten erfolgreich ist.
Über Jahre hat man diese Systemlücke gekannt, ohne dass große Anstrengungen unternommen wurden, sie zu schließen. Nun aber scheint es eine Initiative gegeben zu haben, die dazu geführt hat, dass das Thema in Goslar auf dem Verkehrsgerichtstag auf die Tagesordnung kam.
Gibt es nun tatsächlich Handlungsbedarf für den Gesetzgeber? Wenn man bedenkt, was alles zusammentreffen muss, damit die Methode klappt, kann man daraus wohl kaum ein Massenphänomen machen. Je genauer in den Bußgeldstellen gearbeitet wird, desto weniger erfolgreich kann ein solcher Trick sein. Genau arbeiten bedeutet aber auch, zeitaufwändiger zu arbeiten und gerade an dieser Stelle scheint derzeit das Problem zu liegen. Bußgeldverfahren haben an Masse stark zugenommen. Entsprechend hoch ist auch die Belastung in den Bußgeldstellen. Darunter leidet dann die Sorgfalt im einzelnen Vorgang. Die daraus vielleicht im Einzelfall entstehende Ungerechtigkeit sorgt nun für Empörung, hilft aber dem einen oder anderen Sünder, mit Glück (und/oder Geld) aus der Sache herauszukommen.
Sollte deshalb der Gesetzgeber nach der Empfehlung des Verkehrsgerichtstages eingreifen? Eine Änderung von Tatbeständen im Strafgesetzbuch kann weitreichende Folgen haben und vielleicht gar nicht zu regelnde und nicht gewünschte Sachverhalte kriminalisieren. In der Diskussion in Goslar war zum Beispiel die Rede von Gefälligkeiten in der Familie, z. B. die Mutter nimmt die Buße anstelle der in der Probezeit befindlichen Tochter auf sich oder der im Ausland lebende Schwager, der dort von Punkten oder Fahrverbot nicht betroffen wäre, wird als Fahrer vorgeschoben. Selbst die im Arbeitskreis stark vertretene Verkehrswacht, die im Punktehandel vor allem eine Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs sieht, will für solche "Familienfälle" Ausnahmen hinnehmen. Aber wäre das gerechtfertigt? Eine Begründung für ein solches Familienprivileg wird nicht einfach zu finden sein. Auch deshalb denke ich, dass sich an der derzeitigen Situation auf absehbare Zeit nichts ändern wird.